Antje Graf-Stöhr, im Mai 2020

Untergrund

Ich ziehe also den neuen Klang aus der Erde heraus und wundere mich schon lange nicht mehr, weshalb das Kind aus Mutter Ton so leise ist.

Der des holden Heimatbodens.

Das Feuer, flüssig, grell und willig ergieße ich in Mutters Leib und hoffe, dass es alles klappe.

Denn der Heimatboden.

Meine Ohren, kalt wie Stahl, erhören doch immer oft und gut den gelungenen Klang.

Dieses subtile, tiefe Flackern einer langen Ära großer Taten.

Die Ära Heimatboden.

Sein und Zeit sind mir heute wieder, das eine wie das andere auch, zerflossen in der Lage auf dem Grund wie wenn ein Fluss aus Blut sich der geronnenen Bewegung ergeben will und sterbend klumpen geht.

Der Klumpen Heimatboden.

Schon seit langem schwelt der Rauch am Horizont, dieser hohen Kante Mauern Schutz aus Luft und Flimmern.

Doch wird diese Luft hier und heut´ durchbrochen, ich komme aus dem heißen Klanges Bauch gekrochen.

Das Feuer im Heimatboden.

Es ist umsonst; der Riss ist drin und ich, ärgerlich wie sonst auch, wenn das geschah, wandle aus der Hütte und höre erschreckt den lauten Klang.

Keine Zeit verlieren – Ich muss meine Sohlen vom Heimatboden heben.

Heimatboden.

Die grauen Helme sind schon hinterm nächsten Hügel und walten ihres Glaubens grausig Amtes in aller Ehre.

Klein(t)od Heimatboden.

Ein Knacken grollt mir auf die nasse Stirn wie wenn eine Walnuss sich dem Druck ergibt.

Aber ich weiß es doch.

Blut auf den Heimatboden.

Über Fluss und Grund, durch Angst und Schund so fliehe ich, wissend, nie mehr diesen letzten Schritt gerade hier tun zu dürfen.

Fort vom Heimatboden.

Nun schwelt auch meine Heimat und ich als einziger Klang bin kein Blut auf dem Heimatboden.

Lebest, Heimatboden?

Kalt

Von Robin F. Hasler, im Mai 2020

Die Sache mit dem Mut

Mut ist eine komische Sache, man sagt sich selber man ist mutig, man könnte von Bäumen springen, einen Löwen bezwingen, aber wenn es dann hart auf hart kommt, und es heißt „komm spring vom 10er-Brett, mach die und die Mutprobe, lass dich von einer Hornisse stechen“ und so weiter, und so weiter, dann ist der Mut, der in mir war, der Löwen bezwingen wollte und von Bäumen springen wollte, nicht mehr da, er hängt stumm in einer Ecke und wünscht sich nicht zu existieren. Was macht das mit mir? Naja also vom 10er bin ich nicht gesprungen und wurde zum Gespött der anderen aus der Gruppe. Toll fand ich das nicht, aber das ist er, der Mut und ich.

Im Großen und Ganzen machte ich dann bei garnichts mehr mit, was meine Freunde unternahmen. Wenn ich dabei bin, stellen sie mich immer auf die Probe und lachen mich dann aus, wenn ich es nicht tue. Ich hatte nur noch mich und eine Familie, die mit mir nicht umgehen konnte. Das machte mich wahrscheinlich depressiv oder so, eine Unterstufe davon, weiß ich nicht. Bei Präsentationen in der Schule kriege ich immer schlechte Noten, weil ich keine Ton rauskriege, die Lehrer interessiert das aber nicht und ich werde zum Gelächter der Klasse. Es fiel mir auch schwer, Freunde zu finden, die mich nicht auslachten. Meine Talente sieht keiner, ich kann gut zeichnen, bin ganz gut in der Schule und bin gerne an der Luft, nur diese Sache mit dem Mut wird an mir beachtet.

So ging das viele Jahre lang, Schule für Schule wurde es auch nicht besser. Also mein Leben ist garantiert kein Bringer, aber ich würde das hier ja alles nicht schreiben, wenn es nicht noch was Gutes gäbe, und das, meine Lieben, kommt jetzt.

Es war eigentlich ein ganz normaler Tag, ich fuhr morgens mit dem Fahrrad in die Schule, es war ein schöner Sommertag. An diesem Tag hatten die ganzen anderen Schüler sogar mal das Interesse an mir verloren. Gut, aber nur, weil ein Neuer in die Schule kam, der eine üble Vergangenheit hat, mit Drogen und Polizei und Jugendamt, angeblich hat er nicht mal mehr Eltern. Deswegen war es sogar ein guter Tag, wo ich mal nicht an mir zweifelte. Mathe, Sport, Physik und Deutsch gingen sogar schnell rum, ok in Physik bin ich mal kurz eingenickt, aber das Fach ist auch einfach langweilig. Nach der Schule fuhr ich noch kurz zu einer Bank. Ich wollte für mich Geld holen, als ich schon etwas vor der Bank einen Van sah, weiß, einen Sprinter. Ich dachte: „Hm, perfekt für einen Überfall.“ Aber ich vergaß es schnell wieder, will man ja nicht wahrhaben so etwas. Ich stellte mein Fahrrad vor der Bank ab, schloss es zum sichern zu.

In der Bank wartete ich darauf, dass ein Schalter frei wurde, als ich vor der Bank etwas Schwarzes sah was näher kam. Ich erkannte es erst schleppend, aber immer besser je näher es kam, es war ein Mensch, ein Mensch mit Maske vor dem Gesicht. Er zückte eine Waffe und betrat die Bank mit den Worten ALLE VOR DEM SCHALTER AUF DEN BODEN ZACK ZACK. Wir taten es alle natürlich, ich sah, dass er ein Sturmgewehr in der Hand hielt und noch eine Pistole am Bein hatte. Ich bemerkte auch, dass er alleine war, das fand ich sehr mutig alleine. Nach etwas Zeit, die verstrich, lief er vor und her, wie so ein Wachsoldat, und immer mal bleib er vor mir stehen. Ich überlegte, ob ich ihm vielleicht die Pistole vom Bein wegnehmen könnte. Meine Idee wurde zu einem Plan und der zur Wirklichkeit. Es passierte ja nichts, er lief nur hin und  her und bedrohte uns ab und zu, damit wir unten bleiben. Der Verbrecher blieb wieder dirket vor mir stehen, mein Mut beflügelte mich, er war voll da, ich hinterfragte es nicht, ich freute mich darüber. Ich griff schnell zu und hatte ihm seine Waffe sogar unbemerkt entwendet, ich sagte leise zu einem neben mir, dass er sein Handy zücken soll und die Polizei rufen sollte, wenn ich aufstehe, ich wartete darauf, dass er weiterging, was er auch tat.

Im nächsten Augenblick stand ich leise, aber schnell auf, lief hinter ihn und hielt ihm die Waffe an den Kopf und sagte: „So, jetzt drehen wir den Spieß mal um. Auf die Knie und unten bleiben, du Null.“

Ich forderte die anderen auf aufzustehen und ihn zu entwaffnen und mal zu schauen, ob jemand in dem Van saß, um den auch zu holen. Mit Erfolg. Wir hielten zwei Verbrecher in dieser Bank fest, bis die Polizei eintraf. Es gab Befragungen und es wurden lobende Worte mir und allen anderen zugewendet. Ein Kommissar fragte, wer den Mut hatte, um dem Verbrecher die Waffe zu entwenden. Und alle Beteiligten an dem versuchten Raub sahen mich an und ich meldete mich zögernd. Der Polizist sprach von sehr starkem Mut von mir und Vertrauen in die anderen, es hätte auch anders aussehen können.

Eine Stunde nach dem ganzen Geschehen kam auch schon die Presse zum Vorschein, sie machten Bilder von mir und Gruppenbilder von uns allen, sie Befragten mich darüber, wie alles seinen Lauf gegangen ist, und als alles vorbei war, sagten sie: „Schau morgen in die Zeitung in der Stadt rein, da wird etwas über diesen Vorfall stehen und von dir.“

Und Tatsächlich, in der Schule wurde ich zwar noch gehänselt, weil der Neue nicht mehr interessant war, und der Tag war wieder schleppend und blöd, aber am Tag danach fragten sie mich alle, ob das wahr wäre und sahen mich mit riesigem Respekt an, manchmal hörte ich auch ein „Das hätte ich mich nicht getraut“. Gerade auch von denen, die mich am stärksten gehänselt hatten und die ich meine Freunde nannte.

Seitdem war die Angst, die in dem Mut steckte, weg und mich stellte keiner mehr infrage.

Kurzgeschichte von Marcel Schmidt, Mai 2020

Ein ganzes Leben glücklich gedacht

39 Jahre bin ich jetzt zuhause. Habe ein Kind mit einer Frau, die mich nicht liebt und schon lange weg ist. Ich sitze in meiner Zwei-Zimmer-Wohnung, die ich durch Hartz-4 bekommen habe. Mein Kind besucht mich nie, weil sie es nicht will. Ihre Mutter will nicht, dass das Mädchen ihren misslungenen, ungepflegten, fetten, nichtsnutzigen Vater sieht.

Ich blicke oft zurück, zurück zu meiner Schulzeit.

Bildung war mir egal, ich liebte dieses Mädchen in der Parallelen, es hat sogar gehalten und wir haben ein Kind. Aber ihre Absichten waren anders, sie war schlau und gut in der Schule. Ich aber tickte anders,
ich wollte es wie ein Rapper machen, weil ich nicht so ein Leben wollte: Arbeiten, heim, schlafen, arbeiten und immer so weiter. Ich schwänzte Schule und vertickte Drogen, erst kleine Mengen, dann wurden sie immer größer, es kam immer mehr Geld rein und ich sah mein Traumleben mit einer Traumfrau.
Aber sie war nicht loyal zu mir sie, verpfiff mich irgendwann an die Polizei, da hatten wir schon unser Kind. Fünf Jahre bekam ich, und einen Hass auf meine Traumfrau. Sie sagte oft zu mir: „Hör auf mit den Drogen und lern was Richtiges, was Legales. Ich wollte nicht hören und heute sitze ich hier ohne nichts.

Kurzgeschichte von Marcel Schmidt, 2020

Gefangen in der eigenen Haut

In meiner Kurgeschichte geht es um einen Jungen und einen Ausschnitt aus seinem Leben.

Das Coronavirus wütet rund um die Welt, weswegen alle Bewohner gebeten werden zuhause zu bleiben, auch Timo. Timo stand kurz vor den Prüfungen, eigentlich kam er ganz gut zurecht in der Schule, doch jetzt sitzt er zuhause, weiß nicht was er mit sich anfangen soll und am besten wäre es zu lernen, den Stoff, den er per Mail von seinen Lehrern bekommt, doch Timo weiß nicht, wo er anfangen soll. Deswegen versucht er es einfach zu vergessen durchs kiffen. Es ist nicht gut, gar nichts zu machen, denkt er sich die ganze Zeit, doch er schafft es nicht. Manchmal fragt er sich, wo er landet, wenn er so weiter macht, er sieht, wie er sein Leben lebt, er hat Spaß, Freiheit und Zufriedenheit, doch ganz am Ende sieht er, dass er keine Zukunft hat, keine Familie, kein Haus einfach nur schwarz.

Der Mensch, der diese Geschichte geschrieben hat, möchte anonym bleiben.

Gefühlsdrama

Ich  gehe  durch mein Leben, arbeite, verdiene sehr gut Geld. Aber alle Leute sagen, ich sei kalt, ich habe keine Gefühle. Am Anfang haben sie noch mit mir geredet, aber jetzt reden sie nicht mehr mit mir, ich wäre ihnen zu kalt, Smalltalk kann der nicht, der mag bestimmt keine Leute oder Gespräche oder beides. Seine Antworten sind irgendwie von Hass geprägt, was muss der für eine Kindheit gehabt haben.

Dabei hatte ich eine tolle Kindheit, ich war immer lieb und nett. Ich merke ja selber, dass mich ziemlich oft der Hass in mir leitet, dass er generell ziemlich stark und groß in mir ist. Ich bin kalt und das liegt an meiner Ex, sie hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Doch eines Tages kam eine Frau in unsere Firma, sie redete mit mir, SIE REDETE MIT MIR. In diesem Moment merkte ich, dass ich es eigentlich brauche, diese Gespräche, diesen Kontakt.

Es dauerte nicht lange und sie wurde meine Frau. Ich frage sie oft, wie sie es mit meiner Kälte und meinem Hass aushält und sie sagt immer: „Ich sehe das Gute in dir.“ Diese Frau hat etwas geschafft, was keiner versucht hat. Sie bekam es hin, mein Herz wieder aufzutauen, und plötzlich kamen die Leute wieder und redeten mit mir.

Kurzgeschichte von Marcel Schmidt, 2020.

Dieses tolle Bild ist von Erik Michel. Folgt ihm auf Instagram. Er heißt dort erik.200
Dieses Bild hat Erik am 31.3.2020 gemacht. Vielen Dank, dass du diesen schönen Moment mit uns teilst.

Blauer geht’s nicht

Blau, es ist alles blau, warum ist alles blau?

Bin ich blausichtig? Wo bin ich überhaupt? Ist das ein Traum? Hm, muss es ja. Welche Menschen sehen denn bitte nur blau? Bin ich tot? Was ist das denn hier?

Wie als hätte mir jemand eine blaue undurchblickbare Decke vor die Augen gemacht. Aber da ist nichts, kein Stoff, keine Decke, kein Garnichts, nur blau, wieso blau? Ich schrie, schrie nach Hilfe, aber nichts, ich bewegte mich, wandt mich hin und her, hin und her und noch mal hin und her, nichts. Ich schrie wieder, und in diesem Moment zog mein Mann die Decke weg.

Kurzgeschichte von Marcel Schmidt, 2020.

Untergang

Die ganze Woche reden die Nachrichten, Talkshows und auch die Leute von diesem Tag. Ich hielt nichts davon, war aber schon etwas angespannt, weil man sich dem ganzen Drama nicht entziehen konnte und gute Argumente im Raum standen, dass es so sein würde. Es kam wie eine Welle über die ganze Welt. Wie immer gab es einen Teil, der sich zuhause einbunkert, sich einen Hamster kauften und total an das alles glaubten.

Und dann gibt es Leute, wie mich, die überhaupt nicht an das Ganze glauben, und in den Läden nichts mehr bekommen, weil die ganzen Verrückten alles kaufen müssen und die Läden mit den Bestellungen nicht mehr hinterher kamen.

Die Zeit verging nicht schnell an diesem Tag, weil ich nichts zu tun hatte. Das Wetter spielte verrückt, mal schneite es und das im Juli, mal schien die Sonne, dann hagelte es. Ein Gewitter kam bei strahlenden Sonnenschein auf, es regnete sintflutartig, die Flüsse traten über. Die Panik traf mich in diesem Moment schon etwas. Im TV zeigten sie live, wie von der Meeresseite vom Hudson her eine riesige Welle auf New York zu rauschte und dann ging die Kamera aus. Wahrscheinlich wurde New York in diesen Sekunden komplett überschwemmt.

Die nächste Übertragung kam aus Nepal, man sah nur noch, wie der Mount Everest immer kleiner wurde, er versank im Erdboden und es floss Lava, überall Lava heraus. Nun gab es auch für mich keine Zweifel mehr, die ganzen Hamsterkäufe haben auch nichts gebracht, das wird das Ende von allem.

Plötzlich rumpelte es unter mir und mein ganzes Haus bebte, ich ging vor die Tür und sah wie sich die Erde zwischen meinen Füßen sehr schnell auftat, bis ich keinen Boden mehr unter meinen Füßen hatte und in ein schwarzes Nichts fiel.

Das berichtete bestimmt auch jemand im TV.

Der Weltuntergang war real und keine Rederei von irgendjemanden.

Kurzgeschichte von Marcel Schmidt, 2020.

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